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Abkürzungen in allen Branchen

Veröffentlicht am 1. April 2022

Meine eigene Kindergartenzeit liegt zugegebenermassen schon einige Zeit zurück. Ich erinnere mich aber noch an eine engagierte Kindergärtnerin und ein Kinderparadies mit vielen Spielsachen. An die Möglichkeit sich kreativ auszuleben und auch draussen auf dem Spielplatz zu toben. In meiner Erinnerung ist die Kindergartenzeit ein riesiger Spielplatz, ich fand es toll. Und heute? Ich höre und lese: «Heute beginnt der Leistungsdruck bereits im Kindergarten» und «Warum um Himmels willen müssen die Kinder jetzt schon mit fünf wissen, was sie werden wollen?» Wie immer höre ich mir die anderen Meinungen an und bilde mir dann selber meine eigene. Hier ist sie.

Vor etwa einem Jahr flatterte bei uns ein Brief der Stadt ins Haus. Darin ein formelles Schreiben, in dem uns mitgeteilt wurde, welchen Kindergarten unsere Tochter besuchen darf. Im Bekannten- und Freundeskreis häuften sich Aussagen wie: «Jetzt geht der Ernst des Lebens los». Mit meiner eigenen Erfahrung einer tollen Kindergartenzeit im Rucksack, habe ich dem entgegengesteuert und unsere Tochter positiv eingestimmt auf eine Zeit mit viel Spiel, neuen Freund:innen und neuen Möglichkeiten. Als dann der Brief der Kindergärtnerin ein paar Wochen später zum Besuchsnachmittag einlud mit vielen Farben und Basteleien, hatte die Vorfreude meine Tochter gepackt. Und spätestens nach dem ersten Besuch im Kindergarten wurden die Wochen gezählt, bis es endlich losging. Mit den Worten «Jetzt bin ich gross, Mami» gings voller Selbstvertrauen los.

Ich erinnerte mich an eine Graphik aus der Entwicklungspsychologie, welche die Entwicklung des Selbstvertrauens bei Kindern und Jugendlichen zeigte. Mit etwa 4 Jahren, also genau dann, wenn bei uns eingeschult wird, erreicht sie einen Peak, danach fällt sie rasch ab und erst im Verlauf der weiteren Schulzeit steigt sie wieder an, durch das Finden der eigenen Identität, durch das Kennenlernen seiner Stärken und Talente und das Entdecken seiner eigenen Werte.

Ich muss ans Selbstvertrauen der Kindergartenklasse denken, als ich im Februar eine neue Kundin bei mir sitzen hatte, zusammen mit ihren Eltern. Nennen wir sie Riva. Riva ist 17 und hat gerade eine Lehre abgebrochen, welche sie in gesundheitliche Schwierigkeiten gebracht hatte und überhaupt nicht zu ihr passte. Wie immer im ersten Gespräch, versuche ich möglichst viel zu erfahren über mein Gegenüber. «Was sind denn deine Stärken?», frage ich Riva deshalb. Sie schaut mich zweifelnd an, lächelt schüchtern und zuckt dann mit den Schultern. Ich notiere mir das Stichwort Ressourcenarbeit! auf meinem Block. Mit etwas Hilfe fiel Riva dann noch ein, dass sie «vielleicht hilfsbereit» sei. Acht Wochen und vier Gespräche später sitzt eine ganz andere Riva vor mir: selbstbewusst, direkt, klar und auch ein bisschen stolz. Wir haben viel Zeit investiert, um herauszufinden, was sie gut kann und wo ihre Stärken liegen und auch, womit sie ihre Zeit verbringen möchte. Und jetzt ist für das Berufsziel klar, sie will Mediamatikerin werden. Die Augen leuchten, der Blick ist entschlossen und sie strahlt.

Etwa zur gleichen Zeit, wie ich mit Riva arbeite, kündigt die Kindergärtnerin per Brief an, dass sie sich mit den Kindern dem Thema Berufe widmen werde. Bereits höre ich einige skeptische Stimmen von Eltern im Sinne von «Muss das denn jetzt schon sein?» Ich vertraue dem Feingefühl der engagierten Lehrperson und werde nicht enttäuscht. Sie spricht mit den Kindern intensiv über ihre Stärken. Wer kann was gut? Wer ist worin Experte oder Expertin? Jedes Kind darf sich eine Sache aussuchen, die es besonders gut kann (meine Tochter entscheidet sich fürs Malen). Diese 'Spezialgebiete' werden dann aufgehängt und danach werden die Fähigkeiten erstmal gewürdigt. Und in einem zweiten Schritt arbeiten die Kinder dann zusammen. So dass Kind A, das gut zeichnen kann, von Kind B, das gut schneiden, klettern oder bauen kann, lernt. Nach dem Motto: Jeder von uns ist Experte, wir tauschen uns aus, lernen voneinander und helfen uns gegenseitig.

Ein Höhepunkt des Themas bildet dann ein Rundgang in der Stadt. «Wir finden morgen heraus, in welchen Häusern welche Berufe wohnen», berichtet meine Tochter stolz. Und ab geht die Reise von der Bäckerei («Hhmm, es gab Gipfeli»), zur Metzgerei («Landjäger, Mami, megafein»), zum Schuhmacher und in die Apotheke. Die Kinder blicken in die Welt der Erwachsenen und erfahren, wie die Menschen ihr Geld verdienen, wie sie ihren Tag verbringen, dass jede:r in bestimmten Bereichen gut ist und werden zum Denken angeregt. Und dabei lernen sie sich und ihre Freund:innen besser kennen. Vielleicht hilft ihnen das dann, wenn sie in 10 Jahren bei mir sitzen und ich sie frage: Was sind deine Stärken? Das wäre doch toll!

Meine Tochter möchte gerade Astronautin werden und Schwimmtrainerin. Ich frage sie warum und sie sagt: «Die Planeten sind toll, ich möchte zum Mars, ich kann ihn auch schon zeichnen. Und dann schau ich von oben auf die Erde. Und schwimmen kann ich ja jetzt auch schon gut, vielleicht könnte ich es anderen zeigen.» Mit hoher Wahrscheinlichkeit werden sich die Wunschberufe noch ein paar Mal ändern. Aber die Auseinandersetzung mit sich selbst, mit einem wohlwollenden Blick auf sich, seinen Stärken und auch seinen Schwächen und mit der Möglichkeit zu träumen, das ist es, was es für mich ausmacht. Wer zum Träumen noch ein tolles Kinderlied im Ohr haben möchte, dem empfehle ich Andrew Bonds «Wele Bruef wär guet für mich». Vom Zootierwärter, zur Tierärztin, dem Igelforscher, der Einhornzüchterin und dem Chilbibahnmonteur ist alles mit dabei. Es läuft bei uns zuhause rauf und runter. ;-)

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