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Abkürzungen in allen Branchen

Veröffentlicht am 15. Januar 2021

Fast jede*r von uns hat einen Chef oder eine Chefin. Die Erfahrenen unter uns haben schon einiges mit ihren Vorgesetzen erlebt. Und selbstverständlich ist auch in der Laufbahnberatung das Verhältnis zu Chef oder Chefin praktisch immer ein Thema. Und zwar geht es von Freund- über Feindschaften, von Rangeleien über wunderbare Kooperation. Es lohnt sich ein Blick auf dieses Verhältnis.

Über seinen Vorgesetzten zu schimpfen, gehört manchmal fast ein bisschen dazu. Psychohygiene könnte man das nennen. Ich kenne es von früher aus meiner Zeit als Sportlerin. Da musste der Schwimmtrainer so manches mal seinen Kopf hinhalten, wenn wir grad nicht einverstanden damit waren, dass 1 km Delfin die adäquate Strafe für ein bisschen zu lange schwatzen abends im Trainingslager sein sollte. Es wurde geschimpft, danach sind wir innerlich fluchend ins Wasser gestiegen und haben mit brennenden Muskeln die Strecke absolviert, bis da keine Energie mehr war, um sich weiter aufzuregen. Der Zusammenhalt in der Gruppe wurde dadurch aber gestärkt. Und insgesamt hatten wir einen richtig tollen, engagierten Coach und das wussten wir auch.

Im Berufsleben, mittlerweile alle erwachsen, erlebe ich auch immer mal wieder den Aufbau von Fronten, das Motzen über das Vorgehen von Vorgesetzen oder aber das Überhöhen einer Person. Die ältere Generation spricht den Mediziner mit ‚Herr Doktor‘ an und seine Ehefrau gleich mit, obwohl die nette Dame weder ein Unistudium geschweige denn eine Dissertation absolviert hat. Meine Generation ist hier pragmatischer, der Arzt fühlt sich auch mit ‚Herr Meier‘ angesprochen und Respekt zeigt sich nicht durch das Erwähnen von Titeln. Zumindest in der Schweiz. Wenn ich ab und zu im österreichischen Fernsehen in die Quizsendung ‚Wer wird Millionär?‘ reinzappe, dann bin ich immer wieder erstaunt, wie gern Leute ihre akademischen Titel lesen und vorzeigen.

Was hat das jetzt mit dem Vorgesetztenthema zu tun? Ganz einfach: Ich bin in meiner beruflichen Laufbahn sehr gut damit gefahren, Vorgesetzte als das anzusehen, was sie sind: Normale Menschen – wie du und ich. Denn jede*r sei ‚gewarnt‘: auch Du kannst Vorgesetzte*r werden, manchmal ganz plötzlich und unverhofft, andere arbeiten jahrelang auf dieses Ziel hin. Und: In der Regel bereitet uns niemand auf diese Aufgabe so richtig vor. In meinem Fall war die Übernahme von Teamverantwortung im Rahmen meines 2. Jobs nach dem Studium dran, ich war Finanzanalystin in einer Lebensversicherung und noch keine 30. Es war die Version: plötzlich und unverhofft. Der Challenge: Ich war normales Teammitglied, auch eines wenn nicht das dienstjüngste und wurde von meinem damaligen Vorgesetzen mit der Teamführung betraut, da er selber Aufgaben auf einer hierarchisch höheren Ebene übernehmen durfte. Der Start als Chefin war nicht so einfach, plötzlich waren meine Kolleg*innen nicht mehr auf gleicher Stufe, sondern hierarchisch tiefer gestellt. Eine davon war sogar meine Freundin geworden. Die Frage stand im Raum: Können wir gleichzeitig Freundinnen sein und du bist meine Chefin? Ich bin sehr dankbar, dass wir diese Herausforderung zusammen gemeistert haben und meine ehemalige Kollegin noch heute meine Freundin ist.

Was mir schlagartig klar wurde mit der Übernahme der Verantwortung für ein Team war: "Ups, das ist alles gar nicht so leicht, wie das von ‘unten’ aussieht." Und ich bin überzeugt, dass mein Verhältnis zu Vorgesetzten sich verändert hat, durch die eigene Führungserfahrung. Dadurch, dass mir klar wurde, was die (für mich) wichtigen Erwartungen sind an diese Rolle. Mein stetiges Streben danach, meine eigenen Anforderungen dann auch zu erfüllen und meine Mitarbeitende situativ, kooperativ und mit einer auf jede*n Mitarbeiter abgestimmte Nuance so zu führen, dass sie mit ihren Stärken glänzen konnten. Zwar der verantwortliche Kopf zu sein, der selbigen auch hinhält, wenn etwas schiefläuft, aber dabei als normaler Teil des Teams zu agieren. Vollgas zu geben, meine Stärken einzubringen, mit den Teammitgliedern zusammen etwas auf die Beine zu stellen. Und auch die Aufgaben zu übernehmen, die sonst niemand will.

Vorgesetzte sind in fast jeder Beratung ein Thema. Was mich in den letzten 1.5 Jahren als Laufbahnberaterin immer wieder überrascht hat ist, wie selten Mitarbeitende das Gespräch mit ihren Vorgesetzten suchen. Ja, oft gar nicht auf die Idee kommen, dass sie dies tun könnten!

Vor mir sitzt an diesem Januarmorgen eine junge Kundin – nennen wir sie Julia - die aktuell ein Zwischenjahr eingeschaltet hat, bevor sie mit einem Studium starten will. Julia arbeitet bei einem Finanzunternehmen und es gefällt ihr gut. In der Beratung haben wir zusammen den Plan ab nächstem Sommer entworfen, jetzt geht es um Aktionsplan und Umsetzung. Ich frage sie, ob sie schon mit ihrer Vorgesetzen darüber gesprochen hat, wie es weiter gehen soll, wenn sie mit dem Studium startet. Sie verneint und wir besprechen, wie sie das Gespräch mit ihrer Vorgesetzten aufgleisen und gestalten könnte. Solche kleine Massnahmen treffe ich oft mit Kundinnen und Kunden.

Bei einer anderen Kundin geht es darum, dass sie komplett unterfordert ist. Sie will etwas ganz Neues machen. Dafür ist sie bei mir in der Beratung und ich bin sicher, wir werden für sie eine gute umsetzbare Perspektive erarbeiten, aber das wird natürlich in den nächsten 4 Wochen nichts daran ändern, dass sie sich im jetzigen Job langweilt. Ich frage sie, ob sie schon mit ihrem Chef darüber gesprochen hat. Sie meint, er wisse, dass sie nicht mehr glücklich sei und wolle sie unbedingt behalten, konkrete Massnahmen gibt es keine. Ich spreche mit ihr durch, wie sie mit ihrem Vorgesetzten sprechen könnte, ihn nach mehr Verantwortung fragen, vielleicht im Rahmen von internen Projekten. Sie mag die Idee und will mit ihm sprechen. Und ich ermutige sie dabei, denn ich bin überzeugt, jede*r Vorgesetzte ist froh, wenn er die Befindlichkeiten im Team kennt und freut sich über Leute, die mehr Verantwortung übernehmen wollen.

Nur wenn man die Punkte, die einen stören, langweilen oder in der Arbeit behindern anspricht, lässt sich auch an der Situation materiell etwas ändern. Bei vielen Kund*innen erlebe ich wirkliches Erstaunen, wenn sie merken, dass im Dialog mit dem/der eigenen Vorgesetzen sich gangbare, konstruktive Lösungen abzeichnen, die ihre Situation und ihr Leben am Arbeitsplatz vereinfachen und zu mehr Spass am Job beitragen. Und die meisten Vorgesetzten sind froh, wenn sie konstruktive Vorschläge erhalten. So habe ich das zumindest immer erlebt mit all meinen Mitarbeitenden. Und ich handhabe es genau gleich mit meinen Vorgesetzten. Das ist zwar manchmal vermutlich anstrengend mit mir, bringt uns aber als Team weiter. 

Gerade jetzt mit der verordneten Home Office Tätigkeit, welche die Distanz innerhalb der Teams nochmals vergrössert, ist es umso zentraler, miteinander zu sprechen. Dann kann es nämlich auch viel weniger passieren, dass man als Vorgesetzte den Draht zu seinen Mitarbeitenden verliert oder als Mitarbeitende im Home Office vom Vorgesetzten bei der Vergabe von neuen Projekten und Aufgaben vergessen geht. Und diese Empfehlung und Erfahrung teile ich sehr gerne auch mit meinen Kund*innen.

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